Ein Bericht von Sharon Nathan, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Findeisen

Ende Juli war ich als eingeladener Sprecher beim „Humanity in Action (HIA) Fellowship“ in Berlin zu Gast – einem der weltweit renommiertesten Nachwuchsprogramme für Menschenrechte, Erinnerungskultur und gesellschaftliche Teilhabe. Die Auswahl ist ausgesprochen streng: Für die US-Kohorte 2015 gingen 688 Bewerbungen ein, lediglich 43 Studierende wurden zugelassen, was einer Quote von rund sechs Prozent entspricht. Im Jahr 2014 erhielten nur 40 von über 600 Bewerbenden eine Zusage. Jährlich werden so insgesamt etwa 120 Fellows aus mehr als zehn Ländern in die sechs Hauptstadtprogramme wie Berlin berufen.

Making Heimat? Die Architektur der Flüchtlingsunterkunft ZUE Neuss

Mein erster Vortrag mit dem Titel „Making Heimat? Die Architektur der Flüchtlingsunterkunft ZUE Neuss“ zeigte, wie modulare Elemente, großzügige Innenhöfe und begrünte Schwellenräume Menschen in der sensiblen Phase des Ankommens Orientierung, Privatsphäre und Würde verschaffen. Die anschließende Diskussion machte deutlich, dass bauliche Details zur entscheidenden Brücke zwischen Erstaufnahme und langfristiger Integration werden können. Für viele Fellows war das der erste Einblick in eine deutsche Flüchtlingsunterkunft.

Sozial sensible Architektur- und Stadtentwicklungsprojekte realisieren

Am folgenden Tag leitete ich die praxisorientierte Session „Adding to the Human Archive – Exploring Migration Through Personal Interviews“. Gemeinsam mit den Fellows entwickelten wir Leitfäden, um Alltags- und Fluchterfahrungen systematisch zu erfassen und als planerische Ressource für sozial sensible Architektur- und Stadtentwicklungsprojekte nutzbar zu machen.

„Sharons Vortrag war eine der spannendsten und erkenntnisreichsten Sitzungen, an denen ich im Fellowship teilgenommen habe. Sein dialogischer Stil schuf eine wirklich einladende Lernatmosphäre. Am Beispiel einer einzelnen Flüchtlingsunterkunft zeigte er, wie politisch und räumlich ‚Heimat‘ innerhalb der deutschen Architekturgeschichte verhandelt wird. Ich habe ein tieferes Verständnis dafür gewonnen, wie Gestaltung mit Bürokratie, Isolation und Zugehörigkeit zusammenhängt.“

– Leela Cullity, Occidental College (USA)

Das Berliner Programm bot darüber hinaus Impulse, die eng an meine raumbezogenen Forschungsschwerpunkte angelehnt waren. Christoffer Horlitz, Campaign Manager bei Amnesty International und Teil des Research-Kollektivs Forensic Architecture, demonstrierte anhand des Hanau-Attentats, wie räumliche Datenmodelle strukturelle Gewalt sichtbar machen und politische Verantwortlichkeiten klären. Prof. Dr. Nivedita Prasad richtete ihren kritischen Blick auf institutionellen Rassismus an Hochschulen und zeigte Strategien, wie Bildungs- und Kulturinstitutionen Barrieren abbauen können.

„Für mich bestand die größte Lernerfahrung darin zu verstehen, wie kreatives Erzählen und ‚deep listening‘ zusammenwirken können, um Geschichten sichtbar zu machen, die oft in Vergessenheit geraten. Dieses Verständnis hat mir gezeigt, welche einzigartigen Perspektiven ich in meinen eigenen Gemeinschaften wahrnehme – und wie ich meine journalistischen Fähigkeiten nutzen kann, um genau diese Stimmen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“

– Davina Thomson, Princeton University (USA)

Die Stadt- und Dorfentwicklung mit sozial sensibler Architektur positiv beeinflussen

Die positive Resonanz der Fellows bestätigte, dass das Zusammendenken von partizipativer Forschung, sozial sensibler Architektur und Erinnerungsarbeit einen konkreten Mehrwert für demokratische Stadt- und Dorfentwicklung liefert. Im kommenden Jahr werden die Fellows ihre jeweils gewählten Projekte zur Förderung der Menschenrechte und zur Stärkung demokratischer Strukturen weiterentwickeln.